Amerika, Irak,

Kurdistan

Ein Interview mit Koorosch Modarresi

 

Porsesch:Die Luftangriffe auf den Irak dauern mit unterschiedlicher Härte immer noch an.

Der ehemalige US Botschafter für den arabischen Raum sagt, dass das Ziel der Angriffe die Vernichtung der irakischen Massenvernichtungswaffen und die Durchsetzung der UN-Resolutionen sei. Wie denken sie darüber? Welche Ziele verfolgen die USA mit diesen Angriffen?

 

Modarresi: Die These, dass diese Angriffe die Verwirklichung der UN-Resolutionen zum Ziel habe ist falsch. Das ist reine Kriegspropaganda und keine korrekte politische Analyse der Tatsachen. Die offiziellen US-Kommentatoren reden von ungenügenden Plänen und Strategien für den Irak. Aber die Kriegsmedien, die ein Teil der Militärapparate der Staaten bilden, verkaufen diese Propaganda als wahre Fakten und Analysen an die Menschen.

Wenn wir die Inhaltslosigkeit dieser Fakten erkennen wollen, müssen wir einige tiefergehenden Fragen stellen.

Man muss sich fragen, wie viele UN-Resolutionen bislang durch Bomben oder sogar durch militärische Androhungen durchgesetzt wurden? Gehen Sie mit Israel wegen Nichteinhaltung aller UN-Resolutionen auch so um? Wird China wegen Verachtung der elementarsten Menschenrechte mit Waffen bedroht? Wurden Slowenien und Kroatien wegen Vertreibung von über siebenhunderttausend Serben, Deutschland wegen Unterstützung dieser Politik, die USA wegen ihres arroganten und menschenverachtenden Verhaltens in den letzten 50 Jahren so behandelt?

Sie sagen: was den Irak von anderen Staaten unterscheidet, sei seine Unberechenbarkeit und sein Gebrauch von Massenvernichtungswaffen.

Das muss man wirklich als einen Witz betrachten, denn die meisten Diktatoren dieser Erde sind mit Hilfe dieser Staaten (insbesondere der USA) an die Macht gekommen und an der Macht geblieben. Das ist, was Sie zensieren. Sicherlich ist die irakische Regierung eine schmutzige und schreckliche Regierung, aber Saudi-Arabien, Kuwait, Pakistan, Indonesien und viele andere Staaten sind nicht besser. Der Westen hat in den letzten Jahrzehnten viele dieser Regierungen an die Macht gebracht und auch an der Macht gehalten und unterstützt. Pinochet in Chile, der Schah im Iran, Somosa in Nicaragua, unzählige Diktatoren in Lateinamerika, in Vietnam und die Roten Khmer haben direkte oder indirekte Hilfe vom Westen erhalten.

Bei den Massenvernichtungswaffen ist die Sache viel klarer. Amerika ist das Land, das als einziges Land bis jetzt die Atombombe benutzt hat. Außerdem haben sie die größten Fabriken zur Herstellung von chemischen und biologischen Waffen; vielmehr als der Irak. Sie benutzten gerade die schrecklichsten Waffen gegen den Irak. Das Wirtschaftsembargo, Hunger, Medikamentenmangel, Arbeitslosigkeit sind die brutalsten Waffen, deren Opfer meistens unschuldige Zivilisten und vor allem Kinder und Frauen sind.

Wenn es auf dieser Welt ein Gericht mit etwas Ehre gäbe, müssten dann die westlichen Machthaber und ihre Journalisten wegen Ermordung von mehreren Tausend Zivilisten im Irak angeklagt werden? Ein größeres Ereignis ist, dass genau da, wo der Irak die Massenvernichtungswaffen angewendet hat, er vom Westen unterstützt wurde. Ich erinnere mich noch, als wir im Irak mit chemischen Waffen bombardiert wurden, wurden unsere Berichte, die wir an die Medien geliefert haben, gar nicht ausgestrahlt. Der Irak benutzte Waffensysteme aus Österreich, Kommunikationssysteme aus Großbritannien und den USA.

Daher ist, die Berufung auf die UN-Resolutionen und die Vernichtung der irakischen Waffen  nicht der wahre Grund. Der Irak war vor seinem Einmarsch in Kuwait der Liebling des Westens. Es ist die Fortsetzung des Krieges gegen den Irak, es ist reine Kriegspropaganda.

Mit diesem Krieg hat der Westen, haben vor allem die USA ihre Machtpositionen gestärkt und neu definiert. Genauso wie der Krieg auf der Balkan nicht um die Menschen im Kosovo ging, sondern um die direkte Einmischung der USA und der Nato als einzige Weltmacht; überall auf der Welt, wo ihre Interessen das gebieten.

Aber das sie Saddam nicht stürzen wollen ist ein Witz und muss nicht ernst genommen werden. Die Sache ist, dass sie Saddam doch stürzen wollen. Die Vorbereitungen dafür sind bereits getroffen worden. Die USA investieren in die Opposition und haben sich schon öfter direkt in die Sache eingemischt. Es gibt kein Zweifel daran, dass der Westen Saddam stürzen will, aber das ist auch alles. Sie wollen Saddam und nicht die Bath Partei; Sie wollen Saddam und nicht den arabischen Nationalismus stürzen. Deshalb konzentrieren Sie ihre Bemühungen darauf, dass Saddam durch die eigene Partei oder seine eigenen Generäle entmachtet wird.

Der Westen und auch Kuwait und Saudi-Arabien wollen keinen linksgerichteten oder nicht-nationalistischen Staat im Irak. Sie wollen, dass Saddam geht, aber nicht das die Situation sich im Land und in der Region verändert. Also muß sie nach einem Szenario sein, bei dem sie die Bevölkerung ganz ausschließen kann, oder die Leute als Statisten benutzen. Wobei das irakische Militär der beste Kandidat dafür ist. Diese Rechnung ist aber nicht aufgegangen, denn das Militär sieht in Saddams Sturz auch seinen eigenen Untergang und deshalb ist es nicht bereit, mitzumachen. Die Opposition, die vom Westen unterstützt wird, ist weit davon entfernt, Saddam wirklich zu gefährden. Die Kurden im Norden bekämpfen sich untereinander, bevor sie sich mit Saddam auseinandersetzen. Sie haben ihr ganzes Leben schon unter der Spaltung der Machthaber in der Region gelebt und verdanken dieser Situation zu einem Teil ihr Dasein und ihre Existenz. Die Opposition im Süden, also die Schiiten, wären ohne Hilfe aus dem Westen gar nichts. Sie wären einen Haufen von Betrügern und Verbrechern, die sich nur um ihre eigenen Taschen kümmern. Und das weiß der Westen ganz genau. Das zeigt also, dass der Westen sich in einer Sackgasse befindet, was den Irak angeht. Aber was auch geschieht, die Leidende sind die Zivilisten.

 

P.:Die Regierungen und Medien im Westen glauben, dass diese Angriffe sich gegen den irakischen Militärapparat und die republikanische Garde richten, die eine starke Rolle bei der Unterdrückung der Bevölkerung gespielt haben. Wieso finden diese Angriffe nicht ihre Unterstützung?

 

M.:Erstens haben diese Angriffe attraktivere Ziele: Brücken, Fabriken, Elektrizit-ätsanlagen. Zweitens haben gerade die republikanische Garde die wenigsten Verluste durch diese Angriffe zu verzeichnen, denn sie sind eine professionell ausgebildete Einheit und sie wissen wie sie sich schützen sollen. Drittens - und am wichtigsten - ist dies eine Ablenkung der Bevölkerung in ihrem Kampf gegen die Regierung. Wenn wir uns für einen Moment in der Lage dieser Menschen versetzen, dann werden wir verstehen, dass wenn die Menschen - egal, wo auf der Welt - in so eine Lage kommen, dann wird denen jegliche Möglichkeit sich mit der Situation auseinanderzusetzten genommen. Jeder ist darum bemüht sich und seine Familie aus der Gefahr, aus der Not zu bringen. Das hat man 1991 bei der großen Flucht im Irak und heute im Kosovo gesehen. Das nennt man Provokation und das weiß jeder, der etwas von Politik versteht. Der Provokateur kümmert sich nicht um die Menschen, er hat nur seine eigenen Ziele vor Augen. Im Irak sieht die Lage genauso aus. Der Westen provoziert den Irak und macht damit die Arbeit der Bevölkerung, die dieses Regime nicht mehr will, schwerer, weil es ihnen nicht um die Menschen dort geht, im Gegensatz zu ihrer Propaganda.

 

P.:In Zeiten des Kalten Krieges haben die Auseinandersetzungen zwischen dem Westen und dem Osten große Auswirkungen auf die Konflikte in der Region gehabt. Welche Ziele verfolgen der Westen und die USA heute in dieser Region?

 

M.:Die Sache sieht ganz anders aus als sie ist bzw. dargestellt wird. Der Kräfteausgleich der beiden Mächte und die Aufteilung der Welt in zwei Pole machte die Konflikte in der Region kontrollierbar. Beide erkannten die Einflussbereiche des anderen an. Deshalb war der Zerfall des Osten ein Grund dafür, dass jede machtgierige Gruppe seinen Nachbarn unter dem Vorwand des Nationalismus angriff. Das verursachte den Wiederaufstieg des Nationalismus auf der Welt, was eigentlich wenig mit Unterdrückung der Minderheiten oder anderer Völkergemeinschaften zu tun hatte. Es gab auch natürlich Krisengebiete während des kalten Krieges, wo Beide Mächte ihre eigenen Interessen vertreten haben, aber die waren nicht vergleichbar mit der jetzigen Situation auf der Welt. Der Kosovokrieg, Ruanda, Aufstieg von Indien und Pakistan zu Atommächten und sogar der Golfkrieg wären nicht vorstellbar.

Welche Ziele sich der Westen und die USA nach dem kalten Krieg gesetzt haben, benötigt eine lange Diskussion, deshalb gehe ich hier kurz darauf ein. Was die USA versuchen, ist ihre Machtposition auf der Welt nach dem Kalten Krieg zu festigen. Die herausragendsten Ziele sind natürlich die militärischen, denn so könnten die USA ihre Interessen durchsetzten. Diese Politik hat man die „Neue Weltordnung“ getauft.

 

P.: Könnte ihrer Meinung nach eine internationale Organisation wie die UNO nicht zu solchen Maßnahmen gegen Länder, die Massenvernichtungswaffen besitzen und anwenden, greifen?

 

M.: Klar geht das. Ich denke sogar, dass es für die Menschheit sehr Wichtig ist die Welt von diesen schrecklichen Waffen und deren Bedrohungen und Forschung zu befreien. Aber wenn es um Vernichtung solche Waffen geht muss Irak nicht das erste Ziel sein. Wenn die Welt von chemischen, biologischen und atomaren Waffen saubern will muss man zu erst mit Amerika, Russland und China anfangen. Der Westen, vor allem die USA sind die größten Inhaber solcher Waffen und investieren jährlich Milliarden von Dollars in deren Herstellung und Entwicklung. Der Tag, an dem die Atombomben auf Japan fielen wird in der USA noch geehrt. Die Generäle tragen immer noch ihre Medallian aus Vietnam mit Stolz.

Es geht heute nicht um die Vernichtung dieser Waffen, sondern darum welche Länder solche Waffen besitzen dürfen. Sie wollen, dass nur einige bestimmte Länder dieser Waffen besitzen, genau die Länder, die, wenn ihre Interessen sie dazu veranlassen würde keine Scheu davor hätten diese auch einzusetzen.

 

P.: Seit einiger Zeit ist das Wirtschaftsembargo zu einem Teil der US Politik geworden. Die USA und ihre Verbündeten sind der Überzeugung, dass Wirtschaftsembargo eine effektive Waffe zur Durchsetzung der Menschenrechte sei. Nicaragua, Irak, Kuba und Serbien sind einige Beispiele dafür. Was haben Sie an dieser Politik aus zusetzen? Warum muss man nicht Staaten, die verantwortlich für viele Verbrechen an ihrer eigenen Bevölkerung sind mit dem Wirtschaftsembargo zu bestrafen?

 

M.: Ich habe den Umfang und die Wirkung des Wirtschaftsembargos erklärt und habe gesagt, dass diese Politik unmenschlich und barbarisch ist. Aber die Liste der Länder, die sie aufgezählt haben, zeigt einen interessanten Punkt auf und das ist die Aufzählung von Kuba und Nicaragua neben Iran und Irak. Kuba und Nicaragua wurden wegen ihrer Meinungen unter Embargo gestellt. Die USA und der Westen haben gar nichts gegen Unmenschlichkeiten, die Beispiele dafür sind Kuwait und Saudi-Arabien, die zu den schlimmsten Diktatoren dieser Erde zählen. Der Begriff Menschenrechte war vor dem Zusammenbruch des Ostblocks ein Teil des Kalten Krieges. Die „Menschenrechte“ sind in Russland um Jahrzehnten zurückgegangen, aber die USA haben keine Probleme damit. Also, ein Land wie Kuba, dass in jeder Hinsicht ein modernes Land ist, wird unter ein Wirtschaftsembargo gestellt. Die Zulassung von einem Wirt-schaftsembargo ist außer, dass es unmenschlich ist, auch eine große Hilfe für die USA zur Erreichung ihre neue Weltordnung.

 

P.:Die USA und ihr europäischen Verbündeten reden von Bestehen des Iraks in seinen jetzigen Grenzen, Sie aber unterstützten die Forderungen nach der Spaltung der kurdischen Gebiete im Norden des Landes. Viele behaupten, dass diese Forderung im Hinblick auf die internationalen Mächte in der Region unmöglich sei. Ist die Zukunft der Kurden unter der Herrschaft Saddams nicht besser, als unter der einer nationalistischen kurdischen Regierung?

 

M.:Bevor ich mich zu der zukünftigen Situation der Kurden im Irak äußere, will ich darauf hinweisen, dass die USA und ihre europäischen Verbündeten wegen der Interessen bezüglich des Irans und der Türkei nicht für eine Spaltung der Kurden sein können. Diese Bedenken gab es übrigens nicht in Jugoslawien, Tibet oder in der ehemaligen Sowjetunion. In dieser Region sieht die Politik ganz anders aus. Ich will damit sagen, dass es hier um die Interessen der USA und ihrer Verbündeten geht und nicht um die Richtigkeit der Politik. Also wird die Politik hier ganz selektiv gewählt.

In dieser Sache, muss man zuerst einige Faktoren beachten. Erstens: die irakische Regierung ist eine arabische Regierung, also werden Angehörige andere Völker wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Alle Machthaber im Irak in den letzten 50 Jahren haben an den Kurden die schlimmsten Verbrechen verübt. Heute ist die Bath Partei und der arabische Nationalismus zu einer Horrorvorstellung für die Kurden geworden. Es wird sich auch dann nichts an der Situation der Kurden ändern, wenn eine - nach westlichen Vorstellungen - demokratische aber arabische Regierung an die Macht kommt. Solange Kurden als Staatsbürger zweiter Klasse oder als Gäste angesehen werden. Zweitens befindet sich die gesellschaftliche und politische Situation in Kurdistan in einer Phase der Veränderung. Das ist selbst zu einem Teil des Problems geworden.

Wir setzten uns für eine moderne, gerechte, menschliche und nicht nationalistische Gesellschaft und eine sozialistische Regierung im Irak ein. Eine Regierung, die nicht nach der Herkunft der Menschen fragt, die nationalistisches Gedankengut beiseite tut, die es allen Teilen der Bevölkerung ermöglicht, gleichberechtigt an der sozialen, gesellschaftlichen und politischen Entscheidung des Landes Teil zu haben. Unsere Partei kämpft für die Errichtung solch einer Gesellschaft in ganz Irak. Gleichzeitig sieht unsere Politik in der Kurdenfrage vor, dass die Menschen dort selbst entscheiden sollen, ob sie in den Grenzen des Irak bleiben wollen oder nicht. So eine Politik schaltet alle nationalistischen Gedanken für immer aus. Die Menschen in Kurdistan müssen die Möglichkeit haben, in freien und demokratischen Wahlen über ihre Zukunft und eine zukünftigen Regierung zu entscheiden.

Aber diese Politik muss auch eine Antwort auf die schreckliche und miserable Situation der Kurden im Moment haben. Die Situation in Kurdistan ist zur Zeit unerträglich.

Kurdistan muss zum einen in gesellschaftlicher, sozialer und politischer Hinsicht ein stabiles Land werden. Sie müssen entweder unter Saddams Herrschaft bleiben, oder sich für immer von ihm trennen und eine eigenständige Regierung bilden. Und zum anderen haben die Menschen heute die Hoffnung, dass das Wirtschaftsembargo bald zum Ende kommt und die Zentralregierung wieder in die Region zurückkehrt. Das ist aber auch die Hoffnung der nationalistischen Parteien dort. Sie warten darauf, den Dialog mit Saddam wieder zu eröffnen und vielleicht dann auch einige Vorteile in der gemeinsamen Regierung für sich rauszuschlagen. Was durch dieses Szenario auf die Menschen zukommt, dass kann man sich leicht vorstellen.

Das zweite Szenario, das wir wollen, sind freie Wahlen unter internationaler Beobachtung. Wir möchten, dass die Menschen in Kurdistan für eine Spaltung vom Irak und für eine nicht nationalistische Regierung stimmen, denn so eine Regierung wäre die Lösung für die Probleme dort. Diese Lösung wird auch Konsequenzen haben, aber ich denke die Konsequenzen wären in jeder Hinsicht geringer als bei der ersten Lösung. Die Nachbarländer, vor allem der Iran und die Türkei, werden mit dieser Lösung nicht einverstanden sein, aber man muss die Macht dieser Staaten realistisch sehen: sie haben selber interne Konflikte. Ihr Eingreifen besäße keine internationale Rechtfertigung und sie würden ganz schnell unter Druck geraten.